Der Hightech-Abenteuerboom

Reiseenduros 2021- Harley Davidson-Pan America ©Ulf Böhringer

Großvolumige Reiseenduros stellen derzeit die technologischen Speerspitzen auf dem Motorradmarkt dar. Sie bieten nicht weniger Hightech als die führenden Superbikes. Mehr Neuheiten in einem einzigen Jahr gab es in diesem Segment noch nie.

Deutschlands Motorradmarkt hat im Corona-Jahr 2020 ein unglaubliches Rekordjahr hinter sich gebracht: Um fast 17.000 Einheiten stiegen die Kraftrad-Neuzulassungen im Jahresverlauf und kamen damit auf 132.000 Stück. Warum ein solch kräftiges und unerwartetes Wachstum? „Einerseits haben die Leute statt in Fernreisen gerne in Motorräder investiert, andererseits haben sie sich mit dem Kauf eines Motorrades in Zeiten der Corona-Restriktionen auch ein Stück persönliche Freiheit gekauft“, sagt BMW-Sprecher Tim Diehl-Thiele. Zwar müssen manche sparen, aber vielen geht Corona nicht an den Geldbeutel. Dass dieser Trend möglichst auch 2021 anhält, dafür haben die Hersteller allerhand getan. Blickt man auf die Neuheiten der beginnenden Saison, dann zeigen sich zwei besonders starke Entwicklungstendenzen: Einerseits setzen sich die großvolumigen und sehr leistungsstarken Reiseenduros noch stärker in Szene als schon bisher, andererseits spielt die Elektronik in Form von Assistenzsystemen eine noch bedeutsamere Rolle als zuvor.

Drei Reiseenduro-Segmente

Der Markt der Reiseenduros – im englischen Sprachraum nennt man sie Sports Adventure Bikes – zerfällt mittlerweile in eine Reihe von kleineren Segmenten: Oberhalb der A2-Kategorie macht jene Gruppe von Fahrzeugen den Anfang, die leistungsmäßig mehr oder minder deutlich unter 100 PS liegen und bei denen die Elektronisierung noch einigermaßen bescheiden ist. Eine typische Vertreterin ist die Moto Guzzi V85 TT, aber auch die BMW F 750 GS, die Honda NC750X, die Suzuki V-Strom 650 und die Yamaha Ténéré 700 wären zu nennen. Die Motorleistungen betragen mit Ausnahme der 750er Honda (59 PS) 70 bis 80 PS.
Eine Stufe darüber tritt bereits ausgefeilte Fahrelektronik in den Fokus, auch wenn Hubraum und Motorleistung noch nicht im XXL-Format geliefert werden. Hier findet sich neben der BMW F 850 GS, der Honda CRF1100 Africa Twin – heuer neu in der Traditionsfarbgebung „Tricolor“ erhältlich –, der KTM 890 Adventure sowie der Suzuki V-Strom 1050 auch die Triumph Tiger 900 in ihren diversen Variationen. Die Motorleistungen liegen in diesem Sub-Segment zwischen 95 und 105 PS.

Die Top-Reiseenduros

Betrachtet man die deutschen Zulassungszahlen der vergangenen Jahre, dann zeigt sich die Bedeutung des Top-Segments der Reiseenduros eindrucksvoll: Obwohl hier ja lediglich eine Handvoll Modelle vertreten sind, sind sie alljährlich für zumindest zehn Prozent aller Motorrad-Neuzulassungen gut. Sie bieten immense Motorleistungen, gigantisches Drehmoment und ausgefeilte Fahrassistenzsysteme sowie oftmals auch semiaktive Fahrwerkssysteme, was häufig zu Preisen jenseits der 20.000 Euro führt. Es spielt nur eine untergeordnete Rolle, dass die „ab-Preise“ mitunter gelegentlich noch zwischen 15.000 und 16.500 Euro liegen. In diesem Subsegment der Reiseenduros tut sich denn auch für 2021 am meisten Neues.


Die BMW R 1250 GS (136 PS, 143 Nm) samt ihrem Adventure-Schwestermodell nimmt auf zahlreichen Weltmärkten die Spitzenposition ein, und das ist auf ihrem Heimmarkt Deutschland nicht anders. Die technischen Veränderungen gegenüber dem Modell 2020 sind markant, stellen aber nicht die Welt auf den Kopf. Mehr zur 2021er BMW R 1250 GS

Weitaus stärker modifiziert für 2021 zeigt sich schon die KTM 1290 Super Adventure S (160 PS, 138 Nm), zu der sich wie schon in der Vergangenheit die besonders stark auf den Offroadbereich fokussierte R-Version gesellt; sie kommt mit tiefgreifenden Änderungen, aber dennoch nicht komplett neu. Mehr zur 2021er KTM 1290 Super Adventure S

Vollständig neu entwickelt zeigt sich dagegen die Ducati Multistrada V4; sie legt die Leistungslatte auf stramme 170 PS bzw. 125 Nm und gibt sich laut Hersteller zudem abseits des Asphalts deutlich gefügiger. Mehr zur 2021er Ducati Multistrada V4

Von der Elektronik und vom Fahrzeuggewicht sowie der Erscheinung her in diese Klasse gehört auch die noch sehr junge, letztes Jahr bestens verkaufte „Adventure Sport“-Version der Honda CRF1100 Africa Twin, obwohl ihr V2 „nur“ maximal 102 PS bzw. 105 Nm mobilisiert.

Eher eine Nebenrolle spielt trotz viel Hochtechnologie an Bord die Kawasaki Versys 1000 SE (120 PS, 102 Nm), auch die Triumph Tiger 1200 (141 PS, 122 Nm) ist mehr dabei als mittendrin.

Dorthin will erstmals eine Harley-Davidson, und zwar die vollkommen neu entwickelte Pan America. Deren Preis ist heiß: Die Basisversion kostet 16.000 Euro, die Special 18.000. Gewicht und motorische Eckdaten (1252 ccm-V2, 152 PS, 128 Nm) orientieren sich an der BMW R 1200 GS, der sie – so ließ der Hersteller noch vor der offiziellen Präsentation verlauten – auch fahrdynamisch ebenbürtig sei; der Beweis steht freilich derzeit noch aus, weil es wegen Corona noch keine Testfahrzeuge gibt. Mehr zur Harley-Davidson Pan America

Text © Ulf Böhringer

Fotos © Ulf Böhringer und Hersteller