Kolossaler Aufbruch zu neuen Zielen

Die BMW R18

BMW R 18 und BMW R 18 Classic

BMW startet den lange angekündigten Angriff auf das Cruiser-Segment. Der riesige 1,8 Liter-Boxermotor dominiert mit seinen Büffel-Eigenschaften die eindrucksvoll gestaltete, dabei leicht zu fahrende R 18 von BMW. Mit seinem Big Boxer namens R 18 hat es BMW ausgesprochen spannend gemacht. Von der Präsentation der ersten Customizing-Studie bis zum fahrfertigen Serienmodell vergingen fast zwei Jahre. Die bereits in Auslieferung befindliche BMW R 18 strotzt geradezu von Superlativen: Der größte Boxer-Serienmotor ist das schwerste und zugleich teuerste Boxermodell und – inoffiziell – die aufsehenerregendste BMW zumindest der letzten zehn Jahre. Ein Koloss von Motorrad mit einem Mordstrumm-Motor.

Inspiriert ist die R 18 vom 1935 entstandenen Kultmodell R 5. Damit trägt sie die Insignien einer historisch authentischen BMW aus den 1930er Jahren; damals war die 1923 in den Markt eingetretene Marke bereits etabliert und hatte Standards entwickelt, die man heute an der R 18 gerne zitiert: schwarze Lackierung im Farbton Blackstorm metallic, klassische Doppellinierung am 16-Liter-Tank und an den Kotflügeln, ein in doppelten Schleifen geführter Stahlrohrrahmen mit scheinbar ungefedertem Hinterrad. Schwarze, konisch zulaufende Gabelhülsen schützen die Standrohre der mächtigen 49-Millimeter-Telegabel. Alles piekfein gemacht und penibel verarbeitet. Das sticht schon beim ersten Rundgang um die Neue ins Auge.

Das wichtigste Element des 345 Kilogramm wiegenden Cruisers ist der sogenannte Big Boxer, der luft-/ölgekühlte Zweizylinder mit je vier Ventilen und zwei untenliegenden Nockenwellen. Seine Leistung liegt mit 91 PS in jenem Bereich, in dem auch Harleys mächtiger V2 angesiedelt ist. Die Büffel-Charakteristik des Triebwerks mit seinen 158 Nm Drehmoment garantiert Souveränität in so gut wie jeder Situation, wobei die schiere Kraft stets kultiviert bleibt. Die Gasannahme ist in jedem der drei Fahrmodi perfekt gelungen, wobei anzumerken ist, dass das Großkolbentriebwerk erstaunlich leichtfüßig hochdreht; der Drehzahlbegrenzer setzt erst 1000 U/min über der Nenndrehzahl von 4.750 U/min ein. Die Bezeichnungen Rain, Rock und Roll für die Modi sind genial; überzeugend ist auch, dass sie sich emotional unterscheiden. „Rock“ kommt tatsächlich ruppiger rüber.

Das Fahren mit der BMW R 18 gestaltet sich harmonisch: Das breite Leistungsband macht die Wahl des passenden Gangs unkompliziert, das Fahrwerk ist trotz ellenlangen Radstands nicht unhandlich, was wohl auch dem niedrigen Schwerpunkt zu verdanken ist. Kurven machen Freude, weil man sie leicht einlenken, zielgenau absolvieren und auch zügig passieren kann. Freilich ist die Schräglagenfreiheit begrenzt; sie beträgt laut Hersteller 30 Grad, dann kratzen die Rasten. Sehr wirksam, aber für mitteleuropäische Gewohnheiten ungewöhnlich zurückhaltend im Ansprechverhalten ist die Bremse; sie besteht aus drei Scheiben und ist teilintegral ausgelegt. Offenbar hat die US-Abstimmung Weltgeltung erreicht. Die Sitzposition ist für nicht allzu groß Gewachsene gut, der Kniewinkel akzeptabel. Die Seriensitzhöhe von 69 Zentimetern liegt auf Harley-Niveau. Dennoch gibt es optional eine elektrische Rückfahrhilfe. Kein Fehler.

Einen echten Volltreffer stellt das runde, klassisch gestaltete Zentralinstrument mit analoger Tachometeranzeige und einem integrierten Display unter anderem für die Ganganzeige dar. Es ist sehr schlicht gestaltet und aufs Wesentliche reduziert; damit passt es genauso vorzüglich zum Motorrad wie der kreisrunde, serienmäßige LED-Scheinwerfer. Er ist ein außergewöhnliches technisches Highlight: Auf Wunsch enthält er nicht nur ein Tagfahrlicht, sondern auch ein schräglagenabhängig einsetzendes Kurvenlicht. Das Ganze, wie angedeutet, in höchst schlichtem Gewand. Die vollverchromte Auspuffanlage mit Fishtail-Endungen steht dazu in reizvollem Kontrast.

Anscheinend sollen möglichst wenige R 18 im Serienzustand bleiben. Denn in Sachen Customizing hat man BMW weit vorausgedacht. Natürlich bietet BMW selbst zahlreiche Teile an, die die Wirkung der R 18 verändern; von Rädern über Zylinderhauben und Lenker bis zu Kennzeichenträgern, Sitzen oder Rückspiegeln. Damit Kunden aber auch Teile nach eigenem Gusto verwenden können, hat man Schnellanschlüsse in die Zuleitungen integriert und beispielsweise für die Rückspiegel-Befestigung Löcher in exakt jenem Durchmesser in die Handarmaturen gebohrt, dass problemlos jeder beliebige Spiegelarm verwendet werden kann. Die Möglichkeiten, eine R 18 zu individualisieren, scheinen fast endlos zu sein.

Anfangs gelangt die R 18 ausschließlich als „First Edition“ zur Auslieferung; dazu gehören einige zusätzliche Chromteile sowie ein paar hübsch gestaltete Applikationen – und eine Box mit kleinen Überraschungen, beispielsweise einer höchst speziellen Gürtelschnalle. Enthalten sind auch in ihrer ursprünglichen Form emaillierte BMW-Plaketten für die Tankflanken, damit der Kunde seine R 18 ganz auf „Old School“ trimmen kann. Als Schnäppchen geht die BMW R 18 angesichts ihres Preises in Höhe von 22.225 Euro natürlich nicht durch. Rausgeschmissenes Geld ist das aber nicht, denn sie ist wirklich wertig gemacht; das gilt für Technik, Design und Verarbeitung gleichermaßen. Insofern bringt die R 18 ausgezeichnete Anlagen mit, um den Boxer-Cruiser beim zweiten Aufschlag – der erste ist fast 25 Jahre her und gelang nicht wirklich – zu einem Erfolg werden zu lassen. Denn bei BMW hat man nicht nur an einen Cruiser gedacht, sondern an eine ganze Modellfamilie.

Technische Daten BMW R 18
Motor: Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor, 1.802 ccm Hubraum, vier Ventile pro Zylinder, 67 kW/91 PS bei 4.750 U/min, 158 Nm bei 3.000 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kardan
Fahrwerk: Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen; Telegabel ø 49 mm vorne, 120 mm Federweg; Cantilever-Radführung hinten, Mono-Federbein, Federbasis hydraulisch einstellbar, 90 mm Federweg; Drahtspeichenräder; Reifen 120/70 R 19 (vorne) und 180/65 B 16 (hinten). 300 mm Doppelscheibenbremse vorne, 300 mm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: Zweikreis-ABS (teilintegral), Antischlupfregelung, Keyless-Startsystem
Maße und Gewichte: Radstand: 1731 mm, Sitzhöhe: 690 mm, Gewicht fahrfertig 345 kg, Zuladung 215 kg; Tankinhalt 16 Liter
Fahrleistungen und Verbrauch: 0-100 km/h: ca. 4,8 s, Höchstgeschwindigkeit über 180 km/h, Normverbrauch lt. WMTC-Norm (EU 5) 5,6 l/100 km
Preis: „First Edition“ ab 22.225 Euro

 

… und schon folgt der zweite Streich! - Die BMW R 18 Classic

2020 12 BMW R18 Classic BMW


Kaum stand die R 18 den Journalisten für die erste Ausfahrt zur Verfügung, schon zeigt BMW, wie ernst man es mit der neuen Modellfamilie der R 18 nimmt: Ein paar Veränderungen genügen, um aus dem natürlich nackten Cruiser einen Tourer zu machen. Besonders wichtig ist dafür der große, bei Bedarf abnehmbare Windschild. Aber auch das Zweipersonen-Sitzmöbel, die Satteltaschen und die beiden LED-Zusatzscheinwerfer sowie das kleinere, dafür dickere Vorderrad prägen die R 18 Classic. Abgesehen vom Vorderrad sind alle technischen Details der Classic-Variante mit denen der Basis identisch: Das gilt für Motor, Antrieb, Bremsen und auch Elektronik. In punkto Ausstattung bietet die Classic jedoch ein Plus, denn sie verfügt serienmäßig über eine elektronische Geschwindigkeitsregelung. BMW vermutet wohl nicht zu Unrecht, dass die mehr Windschutz bietende R 18 Classic über weitere Distanzen gefahren wird als der Cruiser. Außer dem Windschild sind auch die Satteltaschen und der Soziussitz so konzipiert, dass diese Elemente zuhause bleiben können. Auch die Classic wird anfangs ausschließlich als reich verchromte „First Edition“ ausgeliefert.

Der Preis von 24.467 Euro steht wohl nur auf dem Papier: Bei der Auslieferung – ab dem späten Frühjahr 2021 – wird wohl wieder der ursprüngliche Mehrwertsteuersatz von 19 % gültig sein.

Fotos: BMW

Text: Ulf Böhringer